Biokatalyse

Expert:innen: Rebecca Buller (ZHAW), Fabian Fischer (HES-SO Valais-Wallis), Thomas Schwander (ZHAW)

Biokatalyse stellt eine wertvolle Alternative zur klassischen chemischen Synthese dar: Sie kann Prozesse effizienter, spezifischer und weniger energieintensiv machen und ist in einem Umfeld von Energiemangel und Klimawandel ein Hoffnungsträger für die Ausgestaltung einer grüneren Chemie und einer umfassenden Kreislaufwirtschaft. Biokatalyse könnte zudem dazu beitragen, in der chemisch-pharmazeutischen Industrie zumindest teilweise ein Reshoring zu ermöglichen und den derzeitigen Versorgungsengpässen entgegenzuwirken. Die Schweiz ist dank ihrer industriellen Stärken und der guten Zusammenarbeit der Industrie mit der akademischen Forschung prädestiniert, eine Vorreiterrolle zu übernehmen.

Bild: National Cancer Institute, Unsplash

Definition

In der Biokatalyse werden biologisch aktive Komponenten, also Biokatalysatoren in der Form von Enzymen oder Mikroorganismen wie Bakterien, Hefen und Pilzen, zur Lenkung oder Beschleunigung von chemischen Reaktionen eingesetzt. Dabei geht es einerseits darum, rein chemisch nicht durchführbare Reaktionen zu erschliessen oder die Effizienz bereits bestehender Reaktionen zu steigern. Zusätzlich ist es möglich, durch den Einsatz von Biokatalysatoren umweltbelastende Reagenzien und Lösungsmitteln zu ersetzen. Oftmals werden Biokatalysatoren im Labor optimiert und für industrielle Anwendungen massgeschneidert, sodass Synthesereaktionen ressourcenschonender, selektiver und effizienter werden.

Heutige und zukünftige Anwendungen

Biokatalyse wird bereits in der Herstellung von Agro- und Feinchemikalien, Geschmacksstoffen, Pharmazeutika und in der Lebensmittelindustrie eingesetzt. Beispiele für etablierte, wirtschaftlich bedeutende biokatalysierte Prozesse sind die Aspartam- und Vitamin-C-Herstellung und die enzymatische Spaltung von Penicillin G zur Herstellung von medizinischem Penicillin. Die biokatalytischen Schritte in der Produktion des Duftstoffes Amber für Parfüms, ursprünglich ein seltenes, am Strand zu findendes Naturprodukt des Pottwals, und eines Medikaments zur Behandlung von Patient:innen mit Herzinsuffizienz sind Erfolgsgeschichten jüngeren Datums aus der Schweizer Industrie. Die Biokatalyse hat sich wegen der hohen Spezifität der Enzyme auch in der Synthese von Molekülen etabliert, die bei gleicher Zusammensetzung in zwei spiegelbildlichen – chiralen – Formen existieren, von denen aber aufgrund ihrer unterschiedlichen Wirkung nur eine im Endprodukt gewünscht ist. Dieser Aspekt spielt besonders in der pharmazeutischen Industrie eine Rolle. Darüber hinaus ist die Biokatalyse ein zentrales Element der Abwasserreinigung und der Kreislaufwirtschaft, da sie zur Wiederverwertung von Rohstoffen wie Kohlenstoffdioxid, Plastik, Pflanzenabfälle und Textilien eingesetzt wird. So können in Zukunft auch einfachere, heute nicht wirtschaftliche Biokatalysen rentabel werden.

Im Fokus der industriellen Entwicklungen steht die enzymatische Aktivierung von chemisch unreaktiven Verbindungen, die Modifikation von Naturstoffen und der gezielte Aufbau von chiralen Molekülen. Die Lebensmittel- und Kosmetikindustrie interessiert sich ebenfalls für chirale Moleküle, weil in einigen Fällen Duft und Geschmack der beiden Molekülformen unterschiedlich wahrgenommen werden. Weitere Anwendungen setzen auf Mikroorganismen, welche alle für die gewünschte Synthese notwendigen Enzyme enthalten und mithilfe der synthetischen Biologie im Labor gebaut und optimiert werden. Der Vorteil liegt auf der Hand: Können die gewünschten Produkte in einem Schritt – und nicht wie heute in unzähligen chemischen Einzelreaktionen – hergestellt werden, senken sich die Kosten. Dies ist nicht nur für die chemisch-pharmazeutische Industrie von Interesse, sondern beispielsweise auch für die Biogasproduktion und die Herstellung von Produkten aus CO2-Abfallströmen.

Chancen und Herausforderungen

Biokatalyse stellt aus mehreren Gründen eine wertvolle Alternative zur klassischen chemischen Synthese dar. Biokatalysatoren sind häufig in Wasser sowie bei tiefen Temperaturen aktiv. Dies erlaubt die Elimination von möglicherweise umweltschädlichen Chemikalien oder Lösungsmitteln und reduziert den Energieverbrauch der Reaktionen. Zudem sind die Prozesse hochgradig spezifisch, was den Aufwand der Aufarbeitung und Entfernung unerwünschter Nebenprodukte reduziert. Biokatalytische Prozesse können mehrheitlich in Eintopfreaktionen durchgeführt werden: Die Anforderungen an die Infrastruktur und der Rohstoffbedarf sinken. Biokatalysatoren sind demnach in einem Umfeld von Energiemangel und Klimawandel ein Hoffnungsträger. Sie können auch dazu beitragen, in der chemisch-pharmazeutischen Industrie ein teilweises Reshoring – das heisst eine teilweise Rückverlagerung von Unternehmen in die Schweiz – zu ermöglichen und den Versorgungsengpässen entgegenzuwirken und dabei zugleich Nachhaltigkeitsanforderungen erfüllen, die am Standort Schweiz verlangt werden.

Für die Schweiz, die mit chemisch-pharmazeutischen Produkten 50 Prozent ihres Exportvolumens erreicht, ist die Technologie eine grosse Chance, den notwendigen Sinneswandel hin zu einer umweltfreundlicheren Biotechnologie und Chemie in Angriff zu nehmen. Wissenschaftliche Kollaborationen zwischen den Hochschulen und der Industrie stellen den Wissenstransfer sicher und befähigen die Schweiz, eine Vorreiterrolle zu übernehmen. So setzen Grossunternehmen die Technologie bereits erfolgreich für die Herstellung von Wertprodukten ein; KMU fehlen allerdings noch die finanziellen und fachlichen Kapazitäten, um Biokatalyse vollumfänglich in ihr Portfolio aufzunehmen. Massgeschneiderte Studiengänge mit einer Vertiefung in moderner Biokatalyse könnten auf der Ebene des Fachkräftemangels Abhilfe schaffen.

Der Einsatz künstlicher Intelligenz sowie kostengünstiger Gensequenzierung und -synthese für die Optimierung von Enzymen hat die Entwicklung beschleunigt. Trotzdem bleiben die Entwicklungszeiten von biokatalytischen Prozessen oft zu lang, um der klassischen Synthese in allen Bereichen Konkurrenz zu machen. Eine Automatisierung der Infrastruktur für die Entwicklung von Biokatalysatoren wäre in Zukunft wünschenswert. Die mögliche Ausweitung des Nagoya-Protokolls auf digitale Sequenzinformation könnte dazu führen, dass der offene Zugang zu bioinformatischen Daten nicht mehr gewährleistet wäre, und würde damit die Nutzung von Biokatalysatoren einschränken.

Förderung

Es existieren kaum dedizierte Förderprogramme für die Entwicklung einer Schweizer Bioökonomie, die auch Biokatalyse umfassen. Zudem finden viele Forschungsaktivitäten im akademischen Umfeld statt und sind somit stark abhängig von Fördergeldern und dem internationalen Wissensaustausch. Um das industrielle Potenzial von Biokatalyse voll auszuschöpfen, braucht es (Schweizer) Programme, die eine industrieübergreifende Förderung von biokatalytischen Technologien im präkompetitiven Stadium ermöglichen.

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